„Sei agil aber halte dich an die Prozesse“ – Ein Diskurs über die Unverträglichkeit gängiger Glaubenssätze und dem Wunsch nach agilen Teams

Häufig stellen uns Führungskräfte, und noch viel mehr ihre Mitarbeiter, zu Beginn eines Projekts folgende Frage: Ist eine agile Transition in unserer Firma umsetzbar? Welche Herausforderungen sehen Sie dabei in einem Konzernumfeld? Kann eine agile Arbeitsweise mit Fokus auf Teamleistung und schnellem Scheitern in unserer Unternehmenskultur überhaupt funktionieren? Diese Frage ist durchaus berechtigt, wenn man sich die weit verbreiteten Glaubenssätze in Unternehmen anschaut. Denn Glaubenssätze prägen jede Unternehmenskultur und tragen maßgeblich zum Verhalten Ihrer Mitarbeiter bei.

 

Wir haben drei exemplarische Denkmuster für Sie ausgewählt, um diese als Hürden für einen agilen Wandel zu diskutieren. 

Einzelleistungen gilt es zu fördern

- Die Einzelleistung jedes Mitarbeiters ist messbar und kann über individuelle Zielvereinbarungen gesteuert werden. Die Summe der Einzelleistungen ergibt die Gesamtleistung. -

Diese lang etablierte Praxis der Mitarbeiterführung widerspricht dem agilen Ansatz der Teamleistung. Ein gut funktionierendes Scrum Team arbeitet crossfunktional und parallel an einer gemeinsamen Aufgabe. Nur durch ein Miteinander kann die vielgelobte und heiß erwünschte Geschwindigkeit in der Leistungserbringung erreicht werden. 

Ein guter Indikator für die Richtigkeit dieser Annahme ist die immer ähnlich verlaufende Leistungskurve eines frisch zusammengestellten Scrum Teams. Zu Beginn kann man einen Einbruch des Outputs beobachten, da das Team sich an die neue Konstellation, die neuen Kollegen und die veränderten Arbeitsbedingungen gewöhnen muss. Man spricht auch von den sogenannten Forming- und Storming-Phasen. Erst nach einer Anlaufzeit sind die Teammitglieder aufeinander eingespielt und jeder findet im Rahmen der Norming-Phase seine Position und Anerkennung. Es bedarf einiger Zeit, bis das Team voll leistungsfähig ist und in die Performing-Phase übertritt.  

Dieser Invest zahlt sich immer aus, denn der Output eines gut funktionierenden Teams ist ungleich höher als der von Einzelkämpfern. Dieser Erfolg lässt sich demnach nicht einzelnen Personen zuordnen, sondern ist als Leistung des Teams zu bewerten. Individuelle Ziele und Anreizsysteme unterminieren diesen Teambildungsprozess als Grundvoraussetzung für eine agile Arbeitsweise.

Mit steigendem Gehalt steigt die Motivation

- Die Leistung wird durch Bonussysteme und monetäre Anreize am effektivsten gesteigert. Die Mitarbeiter leisten mehr, wenn sie mehr Geld dafür bekommen. -

Dieser Glaubenssatz macht nahtlos mit der weitverbreiteten Realität der HR-Welt weiter. Auch wenn die Vor- und Nachteile extrinsischer und intrinsischer Anreize schon seit Jahren diskutiert werden, setzen viele Arbeitsgeber nach wie vor vordergründig auf monetäre Motivationsmittel. Studien belegen, dass mehr Geld, besonders bei spannenden und herausfordernden Aufgaben, eher demotivierend und hinderlich auf die intrinsische Eigenmotivation wirken kann und diese um bis zu 36% sinken lässt*. Das stellt insbesondere für agile Teams ein Problem dar, da diese meist an komplexen Themenstellungen arbeiten. Genau gegenläufig verhält sich der Zusammenhang zwischen Motivation und Engagement bei intrinsischen Anreizen: Ist der Mitarbeiter intrinsisch getrieben, ist sein Motivationslevel bis zu dreimal höher. 

Um es kurz zu machen: Das Gehaltslevel muss das eigene Bedürfnis nach wirtschaftlicher Absicherung befriedigen. Wenn Ihnen Ihr Job aber keinen Spaß macht und Sie Ihre Tätigkeit nicht schätzen, wird das auch die Höhe Ihres Einkommens nicht wettmachen können. 

Starke intrinsische Motivatoren wie eigenverantwortliches Arbeiten, neue Fähigkeiten zu erlangen und die eigene intellektuelle Neugier durch die Bearbeitung komplexer Aufgaben befriedigen zu können sind nur einige Beispiele, die eine agile Arbeitsweise mit sich bringt. 

Prozesse steigern die Effizienz und Arbeitsleistung

- Klar geregelte Aufgaben und Verantwortlichkeiten vermeiden Missverständnisse und Reibungen in den Prozessen. Nur wenn jeder seiner Funktion nachkommt, arbeiten wir wirtschaftlich. - 

Klar strukturierte Abteilungen mit Prozesshandbüchern, geregelten Zuständigkeiten und Schnittstellen prägen das Bild unserer Wirtschaft vom Mittelständler bis zum Großkonzern. Historisch begründet liegt diese Entwicklung in dem Wunsch nach mehr Planungssicherheit und Steuerbarkeit der Arbeits- und Wertschöpfungsströme. In der Realität führte dieser Hype nach geregelten Abläufen aber häufig zu einer Überregulierung und Einschränkung der Mitarbeiter in ihrer Arbeit, wenig Flexibilität bei sich ändernden Bedingungen und zu langen Lauf- und Wartezeiten in Projekten. Dieses Silodenken, die damit einhergehenden Grenzen im Kopf, sowie die Scheu vor Verantwortung und dem Ausprobieren unbekannter Wege torpediert die Grundwerte agilen Arbeitens und stellt häufig eines der zentralen Probleme zu Beginn eines agilen Projektes dar. Die ungewohnten Freiheitsgrade als auch das eigenverantwortliche Planen und Handeln in einem agilen Team ist für viele Mitarbeiter Neuland und kann im ersten Moment erschrecken und zu Ablehnung führen. Viele Dinge erscheinen unmöglich, da wir sie a) früher nie so gemacht haben, das b) so schnell nicht geliefert werden kann oder c) erst einmal eine detaillierte Planung und Prozessbeschreibung erstellt werden muss. Um diesen Wandel im Mindset herbeizuführen, bedarf es Mut seitens der Mitarbeiter aber auch Vertrauen und eine geschützte Arbeitsumgebung seitens der Führungskräfte. Denn wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Welche Glaubenssätze prägen Ihre Unternehmenskultur?

Wir könnten noch lang so weiter machen und verschiedene Überzeugungen infrage stellen. Vielleicht ist Ihnen selbst beim Lesen das ein oder andere Beispiel aus Ihrem Umfeld in den Sinn gekommen. Selbst wenn diese nicht Ihrer eigenen Überzeugung entsprechen, sind solche und viele weitere Muster häufig tief in der Kultur eines Unternehmens verwurzelt und prägen die Arbeits- und Verhaltensweisen Ihrer Mitarbeiter. Diese Barrieren aufzubrechen bedarf aktiver Arbeit, offener Kommunikation und Mut. Nur wenn es Ihnen gelingt, Aufmerksamkeit und einen kritischen Diskurs zu erzeugen, können Sie erfolgreich an der Beseitigung solcher einschränkenden Prägungen in Ihrer Unternehmenskultur arbeiten. 

„Das Geheimnis des Erfolgs ist anzufangen“

(Marc Twain)

 

Gemäß dieses Mottos wünschen wir Ihnen viel Erfolg auf Ihrem Weg und stehen Ihnen gern begleitend zur Seite! Lesen Sie auch: „Change Management: Die fünf Phasen der Veränderung“ oder "Change Management: Warum die Planung der Implementierung die halbe Miete ist".

*  Edward L. Deci et.al.: A Meta-Analytic Review of Experiments Examining the Effects of Extrinsic Rewards on Intrinsic Motivation 

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